Als sich die Abendsonne über Sarajevo senkte und die Mauern der Gelben Festung golden aufleuchten ließ, trafen sie zum ersten Mal aufeinander: junge Menschen aus Bulgarien, Deutschland, Serbien, Montenegro, Rumänien, der Ukraine und Bosnien und Herzegowina. Eine Woche lang sollten sie gemeinsam lernen, verstehen, erinnern und wachsen. Und Sarajevo, diese Stadt der tausend Geschichten, gab
Als sich die Abendsonne über Sarajevo senkte und die Mauern der Gelben Festung golden aufleuchten ließ, trafen sie zum ersten Mal aufeinander: junge Menschen aus Bulgarien, Deutschland, Serbien, Montenegro, Rumänien, der Ukraine und Bosnien und Herzegowina. Eine Woche lang sollten sie gemeinsam lernen, verstehen, erinnern und wachsen. Und Sarajevo, diese Stadt der tausend Geschichten, gab sofort den Takt vor.
Während über der Altstadt zugleich der Ruf des Muezzins und die Glocken der Kirchen erklangen, wurde für die Gruppe hörbar, was diese Stadt seit Jahrhunderten ausmacht: ein Klangteppich der Vielfalt. Ein erster Hinweis darauf, dass hier, im Herzen des Balkans, Grenzen nicht trennen, sondern verweben.
Die Vision hinter DYON – und warum dieses Bootcamp entstand
An genau diesem Punkt beginnt auch die Geschichte von DYON, dem Danube Youth Organizations Network.
DYON ist eine neue europäische Jugendbewegung, entstanden aus dem Wunsch, jungen Menschen im Donauraum nicht nur eine Stimme zu geben, sondern Räume, in denen diese Stimme wachsen kann. Das Netzwerk vereint heute 49 Jugendorganisationen aus allen 14 Donauländern – von Deutschland bis zur Ukraine – und wurde 2024 offiziell durch die EU-Donauraumstrategie anerkannt.
DYON folgt einer klaren Mission: Europa soll nicht nur verwaltet, sondern erneuert werden – mit den Ideen, der Energie und dem Mut einer jungen Generation.
Die Idee für dieses Netzwerk, und damit auch für den ersten Bootcamp, entstand 2018 auf dem Agapedia Youth Camp in Ellwangen – damals, als sich Stefan Barth, Direktor der Agapedia-Stiftung, und Mirella Sidro, Journalistin des Magazins Danube Connects, begegneten.
Dort entstand der Gedanke, eines Tages ein europäisches Bootcamp in Bosnien und Herzegowina zu organisieren: einem Land, das wie kaum ein anderes für Vielfalt, Widerstandskraft und Dialog steht.
Sieben Jahre später wurde aus der Vision Realität.
Organisiert wurde der Bootcamp von Agapedia Baden-Württemberg und DYON, unterstützt vom Staatsministerium Baden-Württemberg, das das Programm im Präsidentschaftsjahr Bosnien und Herzegowinas in der EU-Donauraumstrategie förderte.
So kamen im Sommer 2025 erstmals 23 junge Menschen aus sieben Ländern zusammen – bereit für eine Woche, die zu weit mehr wurde als ein Camp. Es wurde ein Prozess des gemeinsamen Erinnerns, Lernens und Wachsens.
1. Geschichte atmen: Sarajevo und seine Vielfalt
Die Woche begann mit einer Geste, die fast symbolisch für die DNA dieses Landes steht: einem gemeinsamen Besuch der Gelben Festung zum Sonnenuntergang. Die Skyline Sarajevos glühte, während sich der Ruf des Muezzins und das Läuten der Kirchenglocken überlagerten – ein Klang, der den Teilnehmenden sofort zeigte, in welch außergewöhnlicher Stadt sie gelandet waren.
Am nächsten Tag führte Historiker Dr. Eli Tauber, einer der bedeutendsten jüdischen Stimmen Bosniens, die Gruppe über den alten jüdischen Friedhof. Zwischen verwitterten Grabsteinen erzählte er von einer über 500-jährigen Freundschaft zwischen Juden und Muslimen – von gegenseitigem Schutz, gelebter Nachbarschaft und der Einzigartigkeit eines Ortes, an dem Vielfalt nicht Theorie, sondern Alltag war.
Die Jugendlichen sahen Sarajevo plötzlich mit anderen Augen: nicht nur als Stadt, sondern als lebendiges Archiv europäischer Geschichte.
2. Srebrenica: Erinnerung, Verantwortung, Empathie
Die nächste Etappe führte die Gruppe nach Srebrenica – ein Ort, dessen Name wie ein Echo durch Europa klingt. Doch sie kamen nicht nur, um zu trauern.
Der bosnisch-rumänische Regisseur Ado Hasanović hatte sie zum Silver Frame Film Festival eingeladen. Ein Festival, das er gegründet hat, um jungen Menschen aus der Region neue Perspektiven zu ermöglichen: Kreativität statt Reduktion auf Trauma, Zukunft statt Stillstand.
Die Teilnehmenden wurden zur offiziellen Jury des Green Short Movie Award, gemeinsam mit dem Goethe-Institut und der deutschen Filmemacherin Juliane Ebner.
In ihren Workshops lernten sie, Filme zu analysieren, Erzählstrukturen zu erkennen und Geschichten nicht nur zu sehen, sondern zu lesen.
Ado erklärte ihnen, was Srebrenica für ihn bedeutet:
Srebrenica ist nicht nur Schmerz. Es ist eine Stadt voller Herz, Talent und Zukunft.
Der Besuch im Srebrenica Memorial Center wurde zum wohl stillsten Moment der Woche. Zwischen den Namen, den Fotografien, den persönlichen Gegenständen begann Erinnerung greifbar zu werden.
Besonders bewegend war die Begegnung mit den Müttern von Srebrenica. Ihre Worte über Liebe, Würde und unerschütterliche Menschlichkeit hinterließen Spuren, die länger dauern werden als jede Workshopstunde.
Zum Abschluss dieses Kapitels lud Ado alle zu einem Abendessen in eine traditionelle Gaststätte am Ufer der Drina ein, jener Fluss, der hier Bosnien und Serbien trennt – und zugleich verbindet. Dort lernten die Jugendlichen, bosnische Tita und Burek zu rollen, traditionelles gefülltes Teiggericht. Spätestens hier zeigte sich, dass die Gruppe zu einem lebendigen Geflecht geworden war – jede Person ein Neuron, verbunden mit den anderen, bereit, gemeinsam etwas Großartiges zu erschaffen.
3. Natur, die verbindet: Vom Boračko-See bis Umoljani
Das dritte Kapitel spielte in der einzigartigen Natur des Landes – und zeigte den Jugendlichen eine andere Dimension Bosniens.
Am Boračko-See, am Fuß des majestätischen Prenj-Massivs, begrüßte sie Muamer Klino, Präsident der International Police Association Sarajevo. Dort diskutierten sie über Frieden, Verantwortung und darüber, was es bedeutet, Brückenbauer zwischen Generationen, Ländern und Perspektiven zu sein.
Ein Höhepunkt war das Rafting auf der smaragdgrünen Neretva, einem der letzten unveränderten Wildflüsse Europas. Ihr alter keltischer Name Nera Etwa – „die Göttliche, die fließt“ – bekam auf dem Wasser eine ganz neue Bedeutung.
Zum Abschluss wanderten sie nach Umoljani, einem der ältesten Bergdörfer des Landes, und folgten der Spur der Legende vom versteinerten Drachen. Bosnische Mythen, junge Gesichter, europäische Zukunft – ein unerwartet harmonisches Bild.
Fazit – Eine Woche, die zu einem Wir wurde
Am Ende dieser intensiven Tage hatten die Jugendlichen Geschichte berührt, Erinnerung verstanden, Natur erlebt – und in all dem einander gefunden.
Sie kamen aus sieben Ländern. Sie gingen als Gemeinschaft.
Der Satz, der DYON trägt, wurde in dieser Woche spürbar:
Flowing together – growing together.
Es war nicht nur ein Motto. Es war ein Erlebnis.
Die Donau als Zukunftslinie Europas
DYON ist mehr als ein Netzwerk.
Es ist eine Bewegung, die die Jugend des Donauraums verbindet – über Grenzen hinweg, über Sprachen hinweg, über Erinnerungen hinweg.
Der erste Bootcamp in Bosnien und Herzegowina war der Anfang.
2026 folgt Baden-Württemberg und Bulgarien. Danach Tschechien.
Jedes Jahr ein neues Land. Jedes Jahr neue Geschichten. Jedes Jahr eine neue Generation, die Europa weiterdenkt.
Wie die Donau selbst:
immer in Bewegung, immer verbindend, immer fließend.
Dorthin, wo Zukunft entsteht – aus Mut, Begegnung und dem Willen, gemeinsam zu wachsen.
Mirella Sidro,
Sarajevo


















