Die DONAUZIVILISATION – was ist das?

Die DONAUZIVILISATION – was ist das?

Die Donauzivilisation: Viele Funde, unklare Interpretation Gab es entlang der Donau eine Hochkultur, die als die älteste der Menschheitsgeschichte gelten kann? Ja und nein! Darüber sind sich die Wissen-schaftler noch nicht einig. Aber eines wissen sie sicher. Es gab eine Zivilisation, die heute als Donauzivilisation bekannt ist, die die Geschichte unserer Region geprägt hat und

Die Donauzivilisation: Viele Funde, unklare Interpretation
Gab es entlang der Donau eine Hochkultur, die als die älteste der Menschheitsgeschichte gelten kann? Ja und nein! Darüber sind sich die Wissen-schaftler noch nicht einig. Aber eines wissen sie sicher. Es gab eine Zivilisation, die heute als Donauzivilisation bekannt ist, die die Geschichte unserer Region geprägt hat und deren Anfänge um 7000 v. Chr. liegen.

Alteuropa oder Donauzivilisation beschreibt eine historische Epoche des südöstlichen Donauraumes im Übergang zur Bronzezeit. Heute ist dieser geographische Raum durch eine Vielzahl von Sprachen, Kulturen, Religionen und nationalen Identitäten geprägt, die durch die politische Klammer der Europäischen Union zusammengehalten werden. Der heutige geographische Raum umfasst Serbien, Kosovo, Rumänien, Bulgarien, Nordgriechenland, Ungarn und die südwestliche Ukraine. Die Ergebnisse sind vor allem den Wissenschaftlern Marija Gimbutas (1991) und Harald Haarmann (2021) zu verdanken, die darüber geforscht und geschrieben haben.
Es geht um die Zeit vor der Einwanderung östlicher Steppenvölker, die eine neue Kultur und Sprache nach Europa brachten. Die Lebensweise dieser Menschen ist durch zahlreiche archäologische Funde aus der Zeit von etwa 6000 bis 3000 v. Chr. belegt. Sie erzählen von einem Kulturraum mit vielfältigen Gemeinsamkeiten, der als Donauzivilisation ebenso engagiert verteidigt wie angefeindet wird. Warum aber ist diese Kultur so umstritten? Sie könnte Mesopotamien den Rang einer ersten Hochkultur streitig machen und die Geschichte müsste neu geschrieben werden.

Vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit
Der Homo sapiens befand sich zu dieser Zeit im Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur agrarischen Sesshaftigkeit. Die archäologischen Funde zeigen, dass der Besitz der Grundbedürfnisse des Wohnens und Lebens gleichmäßig verteilt war. Es gibt keine herrschaftlichen Paläste oder Gräber. Auch aus den Grabbeigaben lässt sich keine Dominanz der Männer ableiten. In den Tonfiguren, Kult- und Gebrauchsgegenständen wird dem Betrachter eine eindrucksvolle Ästhetik vermittelt, die in ihrer Formgebung, Vielfalt und ornamentalen Gestaltung auch heute noch staunen lässt. Die Menschen jener Zeit knüpften ein reges Handelsnetz entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse bis hin zur Mittelmeerküste. Dieser Handel über die engeren Siedlungsgrenzen hinweg war Garant für ein friedliches Mit-und Nebeneinander. Ein wesentliches Merkmal der Donauzivilisation sind gemeinsame interkulturelle und religiöse Vorstellungen. Weibliche Gottheiten dominierten. Dabei geht es weniger um matriarchalische Herrschaft als um die Verherrlichung der Fruchtbarkeit und des Lebens insgesamt.

Donauschrift – ja oder nein?
Die größte Kontroverse wird um die Donauschrift geführt. Würde sie als entwickeltes Schriftsystem anerkannt, wäre Alteuropa die erste Hochkultur der Welt. Die Existenz einer Schrift gilt vielen Historikern als ein wesentliches Merkmal von Hochkulturen und Zivilisationen. Bis heute gibt es keine brauchbaren Übersetzungen von Texten der Donauschrift. Ein Verständnis der Donauschrift ist aber auch deshalb nicht möglich, weil noch kein „Stein von Rosetta“ gefunden wurde, wie es bei der Entzifferung der Hieroglyphen der Fall war. Wahrscheinlich wird es solche Funde auch nie geben, da die Kultur durch die Einwanderung anderer Völker aus dem Osten in zu kurzer Zeit abgelöst wurde. Sprachliche Vergleiche mit späteren Schriftsystemen, wie dem Griechischen, konnten wenig zur Übersetzung beitragen.
Ihre als Schriftelemente gedeuteten Zeichen sind in vielen Siedlungen weit verbreitet und finden sich auf Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Da es sich häufig um profane Gebrauchsgegenstände oder mystisch interpretierte Figuren handelt, ist davon auszugehen, dass die meisten „Alteuropäer“ damit etwas anfangen, sie also „lesen“ konnten. Das Schriftsystem, das von 5200 v. Chr. bis 3200 v. Chr. in Gebrauch war, besteht aus mehr als 700 Zeichen und Symbolen. Letztendlich kommen einige Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Frage, ob es sich um eine Schrift handelt oder nicht, irrelevant ist, da die Existenz des komplexen Zeichensystems entscheidend ist.
Baroness Zsófia Torma (deutsch: Sofie von Torma, 1832 bis 1899) aus Ungarn sammelte als erste Tonobjekte in ihrer Heimat und später auch im weiteren Donauraum. Dies veranlasste sie, von einer bis dahin unbekannten Kultur im Donauraum zu sprechen.

Ausschnitte aus der Sammlung von Zsófia von Torma mit Tonscherben verschiedener Herkunft und ornamentalen Mustern und Zeichen.

Mit Marija Gimbutas nahm die empirische Erforschung und archäologische Sammlung Alteuropas ihren Anfang. Sie war eine Archäologin und Universalgelehrte, die ihr archäologisches Fachwissen mit Kenntnissen der Sprachwissenschaft, Ethnologie und Religionsgeschichte verband. Kurz nach ihrer Promotion in Tübingen wurde Gimbutas 1950 aufgrund ihrer umfassenden Kenntnisse von 13 europäischen Sprachen und ihrer Ausgrabungsexpertise an die Harvard University berufen. Ihre wissenschaftlichen Themen konzentrierten sich auf die neolithischen Kulturen des Balkans vor der radikalen kulturellen Einwanderung aus dem Osten. Sie führte den Begriff Alteuropa ein, der sich in den letzten Jahren als Donauzivilisation verselbständigt hat.

Die Vinca-Zeichen auf den 1961 entdeckten Tontafeln von Tartaria werden um 5500–5300 vor Chr. datiert. Sie sind ein umstrittenes Zeugnis der Donauschrift.

Marija Gimbutas und ihre „einseitig feministisch“ orientierten Thesen
Beginnend mit der ersten Hälfte des vierten Jahrtausends v. Chr. seien Gimbutas zufolge die Kurganvölker ins Donaugebiet eingedrungen (sog. Kurganhypothese). Sie beschrieb die Kultur Alteuropas als weitgehend friedlich, egalitär, matrifokal und über mehrere Jahrtausende existierend. Mit dieser These fand sie eine enorme Anhängerschaft aus feministischen Weltsichten und eine ebenso entschlossene Ablehnung aus der akademischen Welt der Frühgeschichtler, die bei Gimbutas einen Mangel an kritischer Distanz zu ihren Thesen sahen. Gimbutas zufolge sollen Frauen unter dem Einfluss einer Großen Göttin in sozialen, gesellschaftlichen und religiösen Belangen eine überragende Rolle gespielt haben. Sie selbst nannte ihre wissenschaftliche Methodik eine Archäomythologie, mit der sie die vorherrschenden Interpretationen der Archäologie in Frage stellte.

Die Donauzivilisation als Vorbild für ein friedliches Europa
Betrachtet man die Kulturen des Donauraumes in der Zeit von etwa 6000 bis 3500 v. Chr. als einen geopolitischen Großraum, so kann man mit guten Gründen von einer Donauzivilisation sprechen. Die Menschen gewöhnten sich durch Arbeitsteilung an die Vorteile der Sesshaftigkeit mit mehr Freizeit und leiteten eine einzigartige Blütezeit kulturellen, sozialen und künstlerisch-ästhetischen Schaffens ein.
Würde man nach einer historischen Epoche suchen, in der die Menschen in Bezug auf Macht, Besitz und Lebensqualität gleich oder zumindest ähnlich ausgestattet waren und sich nicht gegenseitig ausgebeutet oder getötet haben, wäre Alteuropa oder die Donauzivilisation ein attraktiver Kandidat. Männer und Frauen hatten den gleichen sozialen Status, aber es scheint, dass Frauen eher als Lebensspender angesehen wurden. Letztlich ist Gimbutas Verdrängungshypothese der Donaukulturen durch „aggressive Horden“ aus dem Osten nicht aus der Luft gegriffen, sondern durch ihre Lebenssituation im zeitlichen Umfeld des Zweiten Weltkrieges ideologisch verzerrt. Neuere genetische Untersuchungen weisen auf einen langen Zeitraum von mehr als tausend Jahren hin, in dem es weniger um Verdrängung als um friedvolle Vermischung ging.

Prof. Harald Traue,
Ulm

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