Auf dem Weg vom Partyreiseziel zur europäischen Kulturregion

Auf dem Weg vom Partyreiseziel zur europäischen Kulturregion

Beim Balaton, dem „ungarischen Meer“, denken immer noch viele an günstigen Pauschal- und Partyurlaub. Die dortige Stadt Veszprém sowie ihre Nachbargemeinden wollen das alte Image jedoch ändern und das Gebiet als neue europäische Kulturregion etablieren. Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ (KHE) wird von der EU jährlich vergeben, seit 2004 sogar an mindestens zwei Städte. Zwar gibt

Beim Balaton, dem „ungarischen Meer“, denken immer noch viele an günstigen Pauschal- und Partyurlaub. Die dortige Stadt Veszprém sowie ihre Nachbargemeinden wollen das alte Image jedoch ändern und das Gebiet als neue europäische Kulturregion etablieren.

Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ (KHE) wird von der EU jährlich vergeben, seit 2004 sogar an mindestens zwei Städte. Zwar gibt es insgesamt immer noch mehr westeuropäische KHE, aber Mittel- und Osteuropa holt auf: seit 2019 war jedes Jahr mindestens eine Stadt aus der Region dabei. 2023 sind es mit Timișoara und Veszprém sogar zwei – Veszprém bewarb sich zudem nicht alleine, sondern zusammen mit 116(!) Gemeinden aus der Region West-Balaton. Daher heißt das Projekt auch „Veszprém-Balaton 2023“, oder kurz „VEB2023“.

Die Ortschaften der Region beteiligen sich, da dies Aufschwung und eine neue Entwicklungsperspektive für sie bietet, erklärte Márton Méhes, Regionalbeauf-tragter des VEB2023, im Gespräch mit danube connects. Außerdem soll sich der Tourismus nicht nur auf den Sommer und das Seeufer konzentrieren, sondern auch auf das Hinterland ausgeweitet werden, so Méhes. Nicht umsonst lautet das Motto des VEB2023 „BEYOND“, also „jenseits“ oder „darüber hinaus“, denn es geht darum, verborgene Schätze entdecken, das Unbekannte hinter dem vermeintlich Bekannten zeigen – ein Konzept, das Kultur mit Tourismus verbindet.

Alíz Markovits, Vorstandsvorsitzende der VEB2023 Organisationsgesellschaft, wies darauf hin, dass ihnen während der Erstellung der Bewerbung aufgefallen war, dass jene KHE am buntesten waren, die auch ihre Umgebung mit ein-bezogen, daher habe man sich zu dem selben Schritt entschlossen. Außerdem könne so auf lange Sicht eine positive Wirkung auf das gesamte Gebiet erzielt werden: „Das KHE-Programm bietet die Möglichkeit, dass Veszprém und die Umgebung als neue kulturelle-kreative Region auch langfristig als bedeuten- des kulturell-intellektuelles Zentrum fungieren können, das mit seinen viel- fältigen Programmen sowie Entwicklungen hilft, die Region auf ein europäisches Kultur- und Kreativlevel zu heben.“

Veszpréms Bürgermeister Gyula Porga sagte schon im November 2021, dass man in der Stadt sehr stolz auf den Titel sei; jedoch sei dessen Tragen kein Ziel, sondern ein wichtiges Mittel dazu, damit Veszprém innerhalb einiger Jahre zur Elite der lebenswertesten Städte Europas zählt.

Virtuelle Erlebniswelten, digitale Meerjungfrauen und europäisches Containerdorf

Bereits in diesem Jahr stimmen zahlreiche Kunst- und Kulturprogramme
auf VEB2023 ein, wobei das detaillierte Programm erst im Oktober 2022 veröffentlicht wird, bis dahin wird noch daran gearbeitet. Méhes gab jedoch Anfang April am Ungarischen Kulturinstitut Stuttgart im Rahmen einer Präsentation einen Ausblick auf die geplanten Events, unter denen u.a. virtuelle Erlebniswelten und spannende digitale sowie multimediale Projekte, ein Festival der Monster und Meerjungfrauen und das „Balatorium“ genannte Ökokunst-Programm sind. Fest steht ferner, dass es neben eigenen VEB2023-Produktionen auch Kooperationen mit Organisatoren bestehender Veranstal- tungen sowie über offene Ausschreibungen auch mit Zivilorganisationen und Institutionen geben wird.

Begonnen wird das Kulturjahr am 21. Januar 2023, dem Tag der ungarischen Kultur, mit einer bunten Eröffnungsveranstaltung; damit sich nicht nur Veszprém und die Balaton-Region, sondern das ganze Land zusammen präsentieren kann, wie Can Togay, künstlerischer und kreativer Direktor von VEB2023, erläuterte. Durch die Programmreihe soll der Landstrich zudem auch auf europäischer Ebene sichtbar gemacht werden; passend dazu wird mit 26 europäischen Städten ein zweiwöchiges Containerdorf organisiert.

Entwicklungen von der Vinyl-Weinbar zum donauschwäbischen Pilgerweg

Zudem wird in Veszprém im Rahmen des KHE die verfallene Heim Pál-Kinderklinik in ein Kulturzentrum für junge Kreative umgebaut, in dem ein Proberaum für lokale Musikbands und Tanzgruppen zur Verfügung stehen soll. Daneben wird das Ruttner-Haus, das im 19. Jahrhundert einer deutsch-stämmigen Handelsfamilie gehörte, renoviert und mit neuen Funktionen, einem Hostel, Café und dem Besucherzentrum des Gefängnismuseums versehen. Der Burggarten soll für schöpferische Tätigkeiten und Vortragskünstler nutzbar gemacht sowie das derzeit ungenutzte, fast 24.000 qm große Areal „Gyárkert“ („Werksgarten“) zu einem Kulturpark umgebaut werden. Und auch die Umgebung profitiert bereits von VEB2023: so unterstützt die Organisationsge-sellschaft die Erneuerung des römischen Museumkomplexes Villa Romana Baláca in der Balácapuszta mit 500 Mio. Forint (ca. 1,31 Mio. Euro) sowie in Balatonfüred die Entwicklung moderner Ausstellungs- und Gemeinschafts-räume mit 358 Mio. Forint (ca. 940.000 Euro).

VEB2023 will sich im Juli auch auf dem Ulmer Donaufest präsentieren. Neben allgemeinen Informationen ist ein Quiz mit Gewinnspiel geplant, verriet Méhes danube connects. „Die meisten haben schon vom Balaton gehört, das ist eine gute Grundlage, um auf das KHE aufmerksam zu machen“, sagte er weiter. Man suche nämlich auch neue Zielgruppen für den hiesigen Gastro- und Kulturbereich: „In den 90er/2000er Jahren galt der Balaton als billiges Urlaubs- und Partyziel, nun soll die Region aber als qualitativer Kultur-Erlebnisraum und neue kreative, vielfältige, europäische Region präsentiert werden.“

In der Gastro hat sich dem Regionalbeauftragten zufolge viel getan, neben Veszprém habe sich auch das Balatoner Oberland weiterentwickelt, ohne dabei jedoch die Natur zu belasten. Im Rahmen des Entwicklungsprogramms „Utcakép“ („Straßenbild“) wurden bisher in Veszprém neue Lokale eröffnet,wo man abends noch etwas essen kann und immer etwas los ist: das Kulturcafé „Papírkutya“, das moderne Design-Bistro Kunszt, das auch als Galerie und Gemeinschaftsraum fungiert, sowie der Wine & Vinyl Bar and Store, der zugleich Weinbar und Plattenladen ist.

Warum ein Besuch des VEB2023 auch aus deutscher Sicht lohnt? Wie die Organisatoren gegenüber danube connects hervorhoben, wird mithilfe eines Pilgerweges unterhalb des angrenzenden Bakony-Gebirges an das Erbe der einst hier lebenden Donauschwaben erinnert. Daneben nehmen auch deutsche Künstler am KHE teil, etwa die Malerin und Performance-Künstlerin Lilla von Puttkamer, die schon Förderung des musikalischen Nachwuchses in Berlin, Düsseldorf, Budapest sowie Windhoek ausstellte und die mit ihrem Mann, einem deutschen adligen Winzer, nahe dem Balaton lebt.

Daniel Hirsch,
Budapest

Weitere Information zum VEB2023 auf dessen offizieller Webseite

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