Mai 2018, ich eile zum Treffpunkt, neben mir rauscht ein Auto nach dem anderen über den großen Boulevard im Zentrum von Sofia. Gergana Stancheva und Angela Ivanova warten im Park auf mich. Ein Büro haben die beiden nicht – das erste Interview wollen wir auf einer Bank machen. Nach wenigen Minuten beginnt ein leichter Nieselregen
Mai 2018, ich eile zum Treffpunkt, neben mir rauscht ein Auto nach dem anderen über den großen Boulevard im Zentrum von Sofia. Gergana Stancheva und Angela Ivanova warten im Park auf mich. Ein Büro haben die beiden nicht – das erste Interview wollen wir auf einer Bank machen. Nach wenigen Minuten beginnt ein leichter Nieselregen – schnell ein-zwei Fotos machen, die Technik einpacken und ein gemütliches Café aufsuchen, wo wir unser Gespräch beenden können.
Fünf Jahre später winken wir uns über Zoom aus unseren Wohnzimmern zu – ein Büro haben die Gründerinnen immer noch nicht, sagen sie lachend, „das steht gar nicht auf unserer ToDo-Liste, vielmehr steht die Entwicklung unseres Produkts im Fokus”, sagt Angela Ivanova. Damals – in Sofia – erzählten sie mir von ihrer Idee für eine umweltfreundliche und kompostierbare Laminierung für Papier. Heute berichten sie von der ersten Produktionsmaschine, die in den nächsten Tagen geliefert werden soll. Der bisherige Weg war lang und beschwerlich, aber im April wollen die zwei Frauen mit ihrer Firma Lam’on endlich mit der Produktion durchstarten.
Die Umwelt im Blick
Beide kommen beruflich aus der Druckindustrie, beide waren mit den herkömmlichen Produktionsweisen, bei denen zahlreiche schädliche Chemikalien und aus Erdöl bestehendem Polyethylen verwendet werden, nicht einverstanden. Für beide war klar – wir müssen etwas machen, um Mensch und Natur zu schützen.
Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Philip Ublekov entwickelten sie eine Rezeptur für eine umweltfreundliche und kompostierbare Laminierung für Papier, die auf einem Biopolymer beruht. „Dieses Biopolymer basiert auf Maisstärke. Für uns ist es aber wichtig zu betonen, dass wir nicht den Mais als essentielles Futter- und Nahrungsmittel verknappen, sondern lediglich 0,05 % der Pflanze für die Herstellung der Laminierung verwenden”, sagt Gergana Stancheva.
Die Ressourcen beziehen sie vor allem aus den USA. „Vor der russischen Großoffensive gab es auch in der Ukraine konkrete Ansätze für eine Produktion von Biopolymere, doch Sie können sich denken, wieso dies jetzt nicht möglich ist.”
Wenig Unterstützung vom eigenen Staat
Der Prozess der Entwicklung der einzigartigen Rezeptur war nicht einfach – mehrere Versuche waren notwendig und unzählige Prototypen wurden iteriert. Unterstützung vom Staat haben sie nicht erhalten: „Wir haben hier keine Rahmenbedingungen, um vorindustrielle Prototypen zu testen. Es gibt keine Institute, wissenschaftliche Laboratorien oder Universitätszentren, wie in westeuropäischen Ländern, wo wir als Jungunternehmerinnen die Ideen in einem Testumfeld hätten ausprobieren können. Wir mussten uns an die Industrie wenden und eine Fabrik finden, die uns Raum und Apparatur zur Verfügung stellen konnte, um un- sere Versuche zu machen. Es war nicht einfach, diese Möglichkeiten zu finden, um unser Produkt zu entwickeln. Nach einiger Zeit waren wir in der Lage eine kleine Maschine zu kaufen und sie in einer Fabrik für Elektronik in Sofia aufstellen, wo wir unsere Experimente betreiben konnten”, erzählt Angela Ivanova.
Ob sie nicht daran gedacht haben, in ein anderes Land zu ziehen, will ich wissen. Beide lachen herzlich: „Vielleicht sind wir deswegen noch hier, weil wir einfach sehr stur sind”, sagt Angela Ivanova.
Und dennoch geben sie zu, ab und zu über den Standortwechsel gesprochen zu haben. Nicht wenige Investoren überlegen es sich zwei Mal, bevor sie ihr Geld in eine Produktion in Bulgarien anlegen, dabei entwickele sich das Land zu einem verlässlichen Standort, doch das alte Image sei immer noch nicht abgelegt worden, sagt Angela Ivanova.
Der Wandel kommt – von unten
„Eigentlich glauben wir daran, dass es hier besser wird. Die jungen Menschen haben Ideen, wollen was bewegen. Der Wandel kommt – langsam aber sicher. Nicht von oben, nicht aus der Politik, die die Rahmenbedingungen für solche grünen Ideen eigentlich erleichtern sollte, sondern von unten, von der jungen Generation, die umweltfreundlicher leben will”, sind sich beide Gründerinnen sicher.
Nicht nur in der Politik, auch in den Medien finden Umweltthemen nur am Rande statt. Selten wird im Fernsehen über umweltpolitische Themen aufgeklärt. „Aber dann, wenn in Kraftwerken Müll verbrannt wird und die Menschen morgens erstmal eine Schicht Ruß von der Autoscheibe wischen müssen, dann verstehen sie in welcher Realität sie leben”, sagt Angela Ivanova.
Es gebe schon ein Bewusstsein für Umweltthemen, doch viele Menschen in Bulgarien haben andere alltägliche Sorgen im Kopf. „Umweltbewusst leben, Müll trennen, wenig Fleisch essen – das muss den Menschen hier vorsichtiger, und nicht oberlehrerhaft kommuniziert werden, sonst erreicht man genau das Gegenteil, dann sagen alle, lasst mich in Ruhe mit diesem Kram. Aber die grünen Ideen und Lösungen – auch die im Alltag – werden kommen, und zwar von der jungen Generation, die viel sensibler dafür ist”, sagt Angela Ivanova.
Deswegen sehen auch sie ihre Zukunft in Bulgarien: „Wir sehen Potential hier und wollen ein Teil der Entwicklung dieses Landes sein. Wir wollen der Beweis dafür sein, dass grüne Technologien und grüne Produkte hier entwickelt und produziert werden können. Wir wollen ein Vorbild für andere sein”, sagt Gergana Stancheva.
Das Team Lam’on ist das erste, das diese neue umweltfreundliche Laminierungstechnologie entwickelt und erfolgreich getestet hat. Derzeit entwickeln sie auch ein Verpackungsmaterial, das sich im kühlen Wasser auflösen kann. „Seit der Corona-Pandemie bestellt jeder online, Berge von Kartons türmen sich in jedem Haushalt – und kein Ende in Sicht. Deswegen haben wir nach Lösungen gesucht, eine abbaubare Verpackung zu entwickeln. Einer unserer Produkte, pack’on ocean, kann sich auch bei niedriger Temperatur von 10 Grad – d.h. im Ozeanwasser – auflösen. Die anderen Produkte sind in der Erde abbaubar oder können recycelt werden.”
Sie haben bereits ein Patent für die Rezeptur in Bulgarien, und an das Europäische Patentamt haben sie einen Antrag gestellt, den sie nächstes Jahr durchbringen wollen.
Auch die Investoren sind von der Idee überzeugt – sie gewannen mehrere Stipendien, sind Teil der Förderprogramme des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT), sowie des Europäischen Innovationsrats (EIC). Dank dieser finanziellen Unterstützung haben sie bereits einen Produktionsstandort in Sofia gefunden – 1.500 Quadratmeter mit reichlich Platz für ein Labor zur Entwicklung weiterer innovativer Produkte.
Die beiden Gründerinnen sind optimistisch, dass sie ihre Produkte bald nicht nur auf dem bulgarischen, sondern auch auf dem europäischen Markt und darüber hinaus anbieten können.
Einen Wunsch haben sie jedoch: „Wir müssen viel Geld dafür ausgeben, um unsere umweltfreundlichen Produkte zu zertifizieren, aber die Hersteller, die mit ihren Plastikprodukten die Umwelt verpesten, müssen nichts zahlen. Wann wird es ein Zertifikat für all jene geben, die für die Verschmutzung der Umwelt verantwortlich sind? Wer zahlt den Preis für die Natur?”
Rayna Breuer,
Bonn