„Unsere Region muss ihren Teil zu Europas grünem Wandel beitragen.”

„Unsere Region muss ihren Teil zu Europas grünem Wandel beitragen.”

Budapests seit Oktober 2019 amtierender grün-liberaler Oberbürgermeister Gergely Karácsony stammt aus Ungarns ländlichem Nordosten. Mit dem überzeugten Radfahrer kam ein neuer Führungsstil in die Stadt: Anwohner sollen bei Entscheidungen möglichst einbezogen werden. Mitte Mai kündigte er die Teilnahme an der Vorwahl der Opposition zur Parlamentswahl 2022 an. Ein Interview anlässlich des Klimakongresses in Ulm. Zu

Budapests seit Oktober 2019 amtierender grün-liberaler Oberbürgermeister Gergely Karácsony stammt aus Ungarns ländlichem Nordosten. Mit dem überzeugten Radfahrer kam ein neuer Führungsstil in die Stadt: Anwohner sollen bei Entscheidungen möglichst einbezogen werden. Mitte Mai kündigte er die Teilnahme an der Vorwahl der Opposition zur Parlamentswahl 2022 an. Ein Interview anlässlich des Klimakongresses in Ulm.

Zu den ungarischen Kommunalwahlen im Oktober 2019 waren Sie mit dem Versprechen angetreten, Budapest als Oberbürgermeister grüner, klima- und fahrradfreundlicher sowie lebenswerter zu machen. Wo stehen Sie derzeit mit diesen Vorhaben?
In Budapest ging es bei der Wahl nicht darum, einen Führer, sondern einen Führungsstil mit einem völlig anderen abzulösen. Wir glauben an die Vision eines grünen, lebenswerten, freien Budapest. Um dies zu erfüllen, treffen wir Entscheidungen, die dem Willen der Menschen in Budapest entsprechen und diese einbeziehen. Statt sofortigen, teuren und dauerhaften Eingriffen testen wir unsere Ideen mit temporären Lösungen und Pilotprojekten, vor allem im Verkehr, und geben den Menschen Zeit zum Testen und Bewerten. Wir haben auch neue Straßenbahnen und Busse übergeben, durch kleine gezielte Maßnahmen die Fußgängersicherheit verbessert, mit der Erneuerung der Großen Ringstraße begonnen, neue Radfahrerspuren angelegt, eine neue Klimastrategie erarbeitet, wir entwickeln die MOL Bubi-Fahrräder und vieles mehr. Weitere wichtige Projekte sind der Bürgerhaushalt, bei dem die Budapester über fast drei Millionen Euro entscheiden können. Die Phase zum Ideensammeln endete jüngst, nun wird über die eingegangenen Ideen abgestimmt, die Gewinnerideen werden im Sommer umgesetzt. Im April verabschiedete das Stadtparlament die neue Stadtentwicklungsstrategie, anhand der wir in den kommenden sieben Jahren Budapest noch lebenswerter, grüner, wettbewerbsfähiger und solidarischer machen wollen.

Wegen Ihrer Entscheidung, eine Spur auf der vielbefahrenen Großen Ringstraße in der Pester Innenstadt den Fahrradfahrern zu übergeben, mussten Sie sich einige Kritik anhören. So hieß es etwa, dass nur wenige Radfahrer die für sie gesperrte Spur nutzen, während sich die Autos auf der einzigen für sie verbliebenen Spur stauen.
Die Große Ringstraße ist heute die meistbefahrene Radfahrerspur Ungarns. Es ist absurd, dass das historische Zentrum von Budapest ausschließlich eine Verkehrsfunktion hat.
Mir war klar, dass dies kein populärer Schritt sein würde, dass ich einige meiner eigenen Wähler überzeugen müsste. Diese Debatte muss jedoch geführt werden. Im Grunde geht es darum, dass wenn die Trends, auf die Budapest und Umgebung zusteuern, anhalten, das Leben hier in 10 Jahren die Hölle sein wird, viel schlimmer als jetzt. Langfristig haben diese unumgänglichen Maßnahmen einen Sinn.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der globalen „Fridays for Future“-Bewegung in Ungarn ein?
Mit der Klimakrise sehen wir, dass die Jugend global einer der wichtigsten Motoren für positive Veränderung sein kann. Kein Wunder, denn das manchmal ungenügende Engagement der Politik wird sich negativ auf das Leben der jüngeren Generationen auswirken. Daher begrüße ich von ganzem Herzen das Engagement der Jugend wie auch alle Arten des von unten aufbauenden, konstruktiven gesellschaftlichen Aktivismus. Wir wollen diesen in Budapest in jeder Weise fördern und unterstützen. In Ungarn hat dies auch deshalb hohe Bedeutung, weil die Regierung nicht genug über die Klimakrise kommuniziert und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht nutzt, um die Massen zu informieren und Meinungen zu formen. Der gesellschaftliche Druck für einen erfolgreichen Nachhaltigkeits-übergang geht vor allem von „Fridays for Future“ und ähnlichen Bewegungen aus.

Sie wurden zum Kommunalen Klimakongress Baden-Württemberg 2021eingeladen. Halten Sie sich allgemein in Sachen Klimapolitik auf dem Laufenden, was im Ausland, etwa in Deutschland zur Debatte steht?
Unsere Städtediplomatie soll Wissen und internationale Erfahrungen der ausländischen Partner – etwa im Verband ICLEI – Local Governments for Sustainability, im Netzwerk Global Convenant of Mayors oder den Energy Cities – auch für Budapest verfügbar machen. Ich selbst informiere mich regelmäßig über die Strategien und Erfolge von Städten und Ländern, die beim Klimaschutz führend sind.
Es ist eine große Freude für Budapest, die Möglichkeit zu haben, an dem Klimakongress teilzunehmen und in Person der stellvertretenden Oberbürgermeisterin Kata Tüttő gemeinsam mit dem Ulmer Oberbürgermeister Gunther Czisch ein Grußwort zu halten. Deutschland ist in Europa auch im Kampf gegen den Klimawandel führend, daher betrachten wir die klimapolitischen Lösungen deutscher Städte als Paradebeispiele.

Gibt es internationale Kooperationen Ihrer Stadt auf dem Gebiet Klimaschutz, etwa mit anderen Städten und Regionen im Donauraum?
2019 starteten Bratislava, Warschau, Budapest und Prag gemeinsam die Initiative „Pact of Free Cities“. Das ist zwar keine fachpolitische Kooperation zum Klimaschutz, doch wir haben uns verpflichtet, Nachhaltigkeit und Klimaschutz in den Mittelpunkt unserer Stadtpolitik und -entwicklung zu stellen, in diesem Bereich zu kooperieren und klimabewussten Großstadtwählern in der Region gemeinsam eine Stimme zu geben. Wir prüfen auch die Möglichkeit, wie wir gemeinsam auf Fördermittel aus den Green Transition-Programmen der EU zugreifen können. Unsere Region muss ihren Teil zu Europas grünem Wandel beitragen, und da wir sehen, dass einige Regierungen, wie z.B. die ungarische sich dazu eher nur rhetorisch statt praktisch verpflichteten, wollen wir uns auf Stadtebene an die Spitze dieses Prozesses stellen.

Was sind konkrete Maßnahmen der ungarischen Hauptstadt auf dem Gebiet des Klimaschutzes? Gibt es zum Beispiel Bestrebungen für klimaneutrale Verwaltungsgebäude?
Bei meinem Amtsantritt habe ich als eine der ersten Maßnahmen den Klima-notstand in Budapest ausgerufen. Wir haben die Hauptabteilung für Klima und Umwelt aufgestellt, die den institutionellen Rahmen für den Klimaschutz bildet. Ende März habe ich die von dieser ausgearbeitete hauptstädtische Klimastrategie und den Aktionsplan für nachhaltige Energie und Klima verabschiedet. Zu den Prioritäten der Strategie gehören die erhebliche Reduzierung der schädlichen Emissionen und die Senkung der Effekte des Klimawandels.
Die größten CO2-Emissionen hängen mit der Energienutzung der Gebäude zusammen. Daher sind eines der Hauptziele des Aktionsplans, die energetische Modernisierung und der energiebewusste Betrieb des Rathauses und unserer Einrichtungen. Zu den kurzfristigen Plänen gehört, dass der Energie- und Wärmebedarf der hauptstädtischen Kläranlagen vollständig durch lokal erzeugte erneuerbare Energie gedeckt wird.
In Budapests Klimastrategie, die im April 2018 noch unter ihrem Vorgänger verabschiedet worden ist, wurde als Ziel u.a. festgelegt, die Emission von Treibhausgasen im Vergleich zum Basiswert von 2015 bis 2020 um 6 Prozent , bis 2030 um 15 Prozent zu senken. Ist das erste Ziel gelungen?
Im Moment liegen uns noch keine vollständigen Statistiken für 2020 vor, doch zeigen die Daten für 2019, dass Budapests CO2-Emissionen im Vergleich zu 2015 nicht gesunken, sondern leicht gestiegen sind. Das ist nicht verwunderlich, da in diesen Jahren keine sinnvollen Programme oder Maßnahmen zur Reduzierung gestartet wurden.

Und hat die Stadt immer noch dasselbe Ziel für 2030, trotz eines deutlich „grüneren“ neuen Oberbürgermeisters?
Entsprechend der Bedeutung des Themas und im besseren Einklang mit den europäischen Zielen haben wir in unserer neuen Klimastrategie das Ziel erhöht: eine Reduzierung der CO2-Emissionen der Stadt um 40 Prozent bis 2030. Hierfür muss ein Drittel des Budapester Wohnungsbestands umfassend energetisch saniert werden, um den Energiebedarf der Gebäude deutlich zu senken, hier liegt das größte Einsparpotenzial.
Das zweite ist die Reorganisation des Verkehrs, wie die Reduzierung des Anteils der Autofahrer von 61 Prozent auf mindestens 30 Prozent, Erhöhung des öffentlichen Verkehrs auf 50 Prozent und Fahrradverkehrs von ca. 1 auf 5 Prozent durch Verkehrsbe-schränkungen, -regulierung und Verbesserung der Infrastruktur. Das drittgrößte Potenzial bietet die stärkere Nutzung von Solarenergie. Trotz des großen Potenzials stammen nur 0,2 Prozent des gesamten in Budapest verbrauchten Stroms aus dieser. Um das Ziel zu erreichen, ist eine etwa 130-fache Steigerung dieser Leistung erforderlich. Um bis 2030 zu einer grüneren und lebenswerteren Stadt zu werden, brauchen wir die Unterstützung aller Beteiligten: Einwohner, Bezirksverwaltungen, Staat, Unternehmen und EU. Die geplanten Verbesserungen, deren Großteil nur mit Gemeinschaftsmitteln starten kann, kosten schätzungsweise 2.500 Mrd. Forint (7,2 Mrd. Euro). Hierfür werden EU-Mittel benötigt, die Ungarn für genau solche Zwecke zur Verfügung stehen.

Welche Maßnahmen oder Projekte planen Sie zur Stärkung der nachhaltigen Mobilität in Budapest?
Die wichtigste Säule der nachhaltigen Mobilität ist in Budapest der öffentliche Verkehr. Bei den wichtigsten, meist schienengebundenen öffentlichen Verkehrsmitteln modernisieren wir kontinuierlich. Wir werden dieses Jahr Mikromobilitätspunkte in den inneren Bezirken einrichten, die Nutzung von Motorrollern regeln, das Fahrrad-Sharing-System neu starten und Radwege entwickeln. Im Mai startete die Ausschreibung zur Gestaltung von EuroVelo-Routen, im Rahmen von 10 staatlichen Förderprojekten werden lokale Radwegnetze geschaffen, und wir werden Fußgängerunterführungen barrierefrei machen. 2021 wird es mithilfe der neuen FUTÁR-App für den öffentlichen Verkehr noch einfacher, Zugang zu Verkehrsinformationen zu erhalten.

Kennen Sie eigentlich Dominic Fritz, den deutschen Bürgermeister von Temeswar?
Ich begrüße, dass 2020 ein grüner und progressiver Politiker an die Spitze von Temeswar gewählt wurde. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Dominic Fritz persönlich zu treffen. Ich verfolge seine Arbeit mit Interesse, besonders hinsichtlich seiner progressiven und grünen Maßnahmen.

Das Interview führte
Daniel Hirsch, Budapest

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