Der Balkan – die Heimat der letzten lebendigen Flüsse Europas

Der Balkan – die Heimat der letzten lebendigen Flüsse Europas

Es ist still. Nur das Rauschen des Flusses und das Zwitschern der Vögel sind zu vernehmen. Zwar ist es bewölkt, doch immer wieder trifft ein Sonnenstrahl auf die Wasseroberfläche und lässt die eigentliche Farbe des Gewässers erstrahlen. Ein sattes Smaragdgrün schimmert hervor, während alle paar hundert Meter kleine Wasserfälle ein Naturschauspiel bieten. Ich stehe am

Es ist still. Nur das Rauschen des Flusses und das Zwitschern der Vögel sind zu vernehmen. Zwar ist es bewölkt, doch immer wieder trifft ein Sonnenstrahl auf die Wasseroberfläche und lässt die eigentliche Farbe des Gewässers erstrahlen. Ein sattes Smaragdgrün schimmert hervor, während alle paar hundert Meter kleine Wasserfälle ein Naturschauspiel bieten. Ich stehe am Ufer des Flusses Una in Bosnien-Herzegowina in der Stadt Bosanski Novi. Den Namen bekam der Fluss von den Römern. Una – die Einzigartige. Und das ist sie auch, wie all die anderen Flüsse und Bäche Bosnien-Herzegowinas auch.

„Kristallklare wilde Bergbäche und Flüsse, die lebendig sind, gibt es nur noch auf dem Balkan”, erklärt Ulrich Eichelmann. Der Geschäftsführer von Riverwatch, einer im Jahr 2012 gegründeten NGO mit Sitz in Wien, widmet sich der Rettung der Flüsse. Vor allem auf dem Balkan, wo es bis zu 70 Prozent intakte Lebensadern gibt. „Man kümmert sich um den Regenwald und die Meere, aber kaum um Flüsse. Dabei sind sie das meist bedrohte ökologische Gut weltweit.” Nicht einmal die Regenwälder schrumpfen so schnell wie die blauen Adern unserer Mutter Erde.

„Seit 1970 hat die Artenvielfalt in den Flüssen um 83 Prozent abgenommen. Ihr größter Feind: Wasserkraftwerke. Natürlich soll ein Wasserkraftwerk seinen Beitrag zur  Stromversorgung leisten. Dennoch, Wasserkraftwerke sind schlecht! Das Schlimmste, die man der Natur antun kann. Bis zu einem gewissen Grad sind sie ok. Doch wir haben zu viele davon. Offiziell gibt es 28.000 in Europa und die Überdosis ist schon längst erreicht. Die Seite der Medaille sind kaputte Flüsse. In Europa sind fast alle Flüsse und Bäche reguliert, gestaut und abgeleitet. „Es sind mehr Kanäle, als lebendige fließende Gewässer. Wir sind mit ihnen aufgewachsen und wissen gar nicht, wie ein lebendiger Fluss aussieht. Nehmen wir als Beispiel die Donau in Wien. Sie hat leider mit dem Ursprünglichen gar nichts mehr zu tun. Vorher bestand sie aus vielen Armen. Heute gibt es nur noch einen großen Strom, seit Jahrhunderten von Menschenhand reguliert.”

Der Balkan, vor allem Bosnien-Herzegowina, bildet eine Ausnahme: “In diesem Land ist die Gesamtnatur so intakt, dass es selbst auf dem Balkan was Aussergewöhnliches ist. Es könnte Costa Rica Europas werden aufgrund seiner Naturjuwelen”, schwärmt Eichelmann. Hier sind auch die natürlich bewaldeten Berghänge an den Flüssen intakt, die mit zu einem Flussgebiet gehören. Wenn es regnet, wird das Wasser bis zum Fluß gefiltert und gereinigt. Daher schimmert ihr Wasser von hellblau bis Smaragdgrün.

2010 bemerkte er, dass die Balkanstaaten immer interessanter für Investoren wurden. „Das Elend in diesen Ländern ist die politische Führung. Ihr ganzes System basiert auf Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, um sich schnell zu bereichern”, sagt Eichelmann. Vor allem die Flüsse rücken in das Interesse, um schnelles Geld mit Wasserkraftwerken zu verdienen. Es gibt etwa 1400 bestehende, weitere 3500 sind geplant, 90 Prozent davon sind sogenannte Minikraftwerke. „Unsere Studie auf dem Balkan hat ergeben, dass beim Ausbau aller geplanten Werke 49 Fischarten aussterben oder am Limit der Existenz gelangen würden. Das wären etwa zehn Prozent aller europäischen Flussfischarten”, bemerkt Eichelmann.
Auch am Fluss Una sollte solch ein Minikraftwerk errichtet werden. Im Herzen des Una-Nationalparks bei den außergewöhnlichen Wasserfällen. Die Bevölkerung konnte das verhindern. „Wäre er errichtet worden, gäbe es einen der schönsten Wasserfälle nicht mehr.”

Anes Podic von der NGO EkoAkcija mit Hauptsitz in Sarajevo kämpft seit 1990 um den Erhalt der bosnisch-herzegowinischen Flüsse. Er erzählt, wie ausländische Unternehmen, einheimische Politiker und private Investoren diese Minikraftwerke bauen wollen, weil sie über Generationen profitabel sind: „Die Erbauer schließen mit dem Staat Verträge ab, die zwischen 30 bis 50 Jahre gültig sind mit Ausblick auf Verlängerung. Der Staat garantiert ihnen die Abnahme des produzierten Stroms für einen vielfachen Preis pro Kilowatt. Als Beispiel: Die Bevölkerung bezahlt pro Kilowatt einen BAM (ca. 50 Cent), der Staat zahlt laut Vertrag drei BAM. (1,50 Euro)” Allerdings ist das Land von diesem Strom nicht abhängig. Im Gegenteil. Die existierenden Kraftwerke produzieren so viel Strom, dass es ein Drittel seiner gewonnenen Energie an die Nachbarländer exportiert.
Diese Kleinwasserkraftwerke zerstören nur. Als Beispiel dient der Fisch Huchen oder Donaulachs. Der Balkan ist ihr Paradies, denn sie brauchen fließende Flüsse, die stickstoffreich sind und Kiesbetten, damit sie laichen können: „Mit Millionen wird aktuell versucht, die Restbestände bei uns in Österreich durch Renaturierung der Flüsse am Leben zu erhalten. Doch das ist nur halb erfolgreich und man wird nie wieder einen Fluss in seine ursprüngliche Lage zurückbringen können. Auf der anderen Seite wird gezahlt, damit gesunde Bestände krank werden. Das ist eines von vielen Beispielen, wie absurd die Situation ist”, erzählen Eichelmann und Podic. Vorher fließt der Fluss für alle, nach dem Bau in die Taschen einer Familie über Generationen, während all die anderen darunter leiden. Doch es tut sich was. “Der Balkan ist zivilgesellschaftlich ein absolutes Vorbild für die westlichen Staaten, was das persönliche Engagement für die Natur betrifft. Ich denke an die Frauen von Kruščica, die mehr als 500 Tage und Nächte eine Brücke besetzt haben, um den Bau von zwei Wasserkraftwerken erfolgreich zu verhindern. Und es gibt noch mehr Beispiele”, erzählt Eichelmann.
Heute arbeitet Riverwatch mit etlichen Juristen auf dem Balkan zusammen, um gegen die geplanten Miniwasserkraftwerke vorzugehen. Auch mit Wissenschaftlern: „Wir fahren nun mit ihnen nach Albanien zum Fluss Vjosa. Die Ergebnisse der Untersuchungen nutzen wir für juristische Klagen gegen den Bau von Wasserwerken.”

Der Fluss Vjosa in Albanien zählt zu den einzigartigen Naturgütern weltweit. Der Biologe Olsi Nika von der NGO EcoAlbania kämpft seit 2010 für die Flüsse seiner Heimat. Eigentlich am Meer aufgewachsen erkannte er, wie einzigartig sie sind:„Vjosa ist der letzte große natürliche und intakte Fluss Europas. Es ist wichtig, den natürlichen Wasserlauf aufrechtzuerhalten, damit die Biodiversität überleben kann.” Bis jetzt konnten die Wasserkraftwerke verhindert werden auch dank der internationalen Kommunikation, bei der sich auch sich der Schauspieler Leonardo Di Caprio beteiligte. Nika kämpft nun, dass Vjosa als Nationalpark anerkannt wird: „Ein Nationalpark ist ein natürliches Areal. 70 Prozent davon bilden unberührte Natur, während der Rest von den Bewohnern nachhaltig und traditionell im Einklang mit der Natur genutzt werden kann. Doch der wichtigste Punkt ist, dass in einem Nationalpark keine Wasserkraftwerke, Bohrinseln für Öl gebaut werden dürfen. Das ist unser Ziel.”

Ulrich Eichelmann, Anes Podic und Olsi Nika – sie sind ein Synonym für ein internationales Netzwerk, das sich um den Erhalt der Flüsse kümmert. Mit Erfolg – etliche Wasserkraftwerke konnten verhindert werden. Und die Regierungen auf dem Balkan fühlen sich gezwungen, die Gesetze zugunsten der letzten lebendigen Flüsse zu ändern.

Wenn man sehen will, wie natürlich lebendige Flusssysteme aussehen oder ausgesehen haben, dann muss man in den Balkan fahren. Vor allem nach Bosnien-Herzegowina oder Albanien.

Mirella Sidro,
Journalistin, Augsburg

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